Prof. Dr. Albrecht Ritschl
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Prof. Dr. Albrecht Ritschl
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Albrecht Ritschl ist Professor für Wirtschaftsgeschichte an der London School of Economics. Nach Studium, Promotion und Habilitation an der LMU München hielt er zuvor Professuren an der Universität Pompeu Fabra in Barcelona (1994-1999), an der Universität Zürich (1999-2001) sowie an der Humboldt-Universität zu Berlin (2001-2007). Seine Forschungsschwerpunkte sind u.a. die Geld- und Finanzpolitik während der Weltwirtschaftskrise und dem Dritten Reich sowie Systemtransformationen nach dem Zweiten Weltkrieg und 1989. Herr Ritschl ist langjähriges Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz.

Referat zum Thema:
Antikapitalismus in den Sozialwissenschaften
Modernisierungsprozesse im 17./18. Jahrhundert mit dem Aufstieg einer neuen Klasse, den Kapitalisten: In der ersten Phase des demografischen Übergangs kommt es zu Massenarmut und Verelendung. Erklärt wird dies durch die Idee der sog. Malthusianischen Falle, die durch das starke Bevölkerungswachstum nach den Napoleonischen Kriegen, wiederkehrende Nahrungskriege und besonders durch die Kartoffelfäulte Mitte der 1840er Jahre scheinbar bestätigt wird.

Die zweite Art von Modernisierungsprozess war die graduelle Industrialisierung und Mechanisierung, mithilfe der Nutzung fossiler Energieträger: Diese brachte Standortvorteile für Montanregionen und die Senkung maritimer Transportkosten mit sich. Verlierer von Industrialisierung und Mechanisierung sind Landarbeiter, der Adel, die Handwerkerzünfte, die Proto-Industrie und ganz besonders Frauen. Zunächst sind auch die Arbeiter Verlierer, was unter der sogenannten „Engelschen Pause“ bekannt ist.

Daraus folgte ein erstes antikapitalistisches Moment von rechts: der Bismarck’sche Schutzzoll und Exportsubventionen. Dieser war eine Abkehr vom Liberalismus und eine Hinwendung zum Korporatismus katholischer Prägung. Eine Verliererkoalition zwischen Landwirtschaft, den Montanregionen und dem Kleingewerbe wurde fast überall in Kontinentaleuropa gebildet.

Eine zweite Phase des Antikapitalismus von rechts: zeigt sich in der Formierung der sogenannten Weimarer Koalition mit stark dirigistischen Tendenzen nach dem Ersten Weltkrieg. Das Liebäugeln mit ständestaatlichen Modellen hielt in Westdeutschland ungefähr bis in die 60er Jahre an. Dieser traditionelle Antikapitalismus von rechts, im Sinne einer Konservierung der ständischen Ordnung versuchte althergebrachten Wirtschaftsformen Schutzzonen zu geben. Die Folge waren teils gigantische Modernisierungsrückstände, besonders in der Landwirtschaft. Das machte sich die extreme Rechte zu Nutze, indem sie diesen Rückstand ideologisch verklärte (Lebensraumideologie, Blockadefestigkeit, Bevölkerungsüberschuss).

Der Antikapitalismus der extremen Rechten: Ausgangspunkt bildet ein toxisches Gemisch aus der Idee der Nation als Volksgemeinschaft, Gobineaus Rassentheorien (der Germanenkult wurde biologistisch umgedeutet), der malthusianischen Idee des Land-to-Labour-Ratio, welche unter dem Namen “Missverhältnis von Volkszahl und Lebensraum“ firmierte und der Lebensraumideologie. In wirtschaftspolitischen Fragen herrscht bei den Nazis eine gewisse Beliebigkeit. Wichtig war nur, was für die Kriegsanstrengung Bedeutung hatte.
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