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Jürgen Kaube
About Me
Jürgen Kaube ist seit 2015 Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Er studierte zunächst Philosophie, Germanistik und Kunstgeschichte, anschließend Wirtschaftswissenschaft an der Freien Universität Berlin. Seit 1992 schrieb Herr Kaube regelmäßig für das Feuilleton der F.A.Z., trat 1999 zunächst in die Berliner Redaktion ein und wechselte 2000 nach Frankfurt am Main. Zuständig für Wissenschafts- und Bildungspolitik wurde er im August 2008 Ressortleiter für die „Geisteswissenschaften“ und 2012 für „Neue Sachbücher“ sowie stellvertretender Leiter des Feuilletons.
(Foto: © Frank Röth | F.A.Z.)
Referat zum Thema:
Antikapitalismus in der Literatur und Philosophie
Der Versuch Antikapitalismus in der Literatur zu untersuchen, stößt auf Schwierigkeiten: Neben dem enormen Gebietsumfang, der Tatsache, dass der Begriff später als der Tatbestand aufkam und dem Umstand dass die Kritik des Kapitalismus schwer von der Kritik der Moderne (Urbanisierung, Demokratisierung, Vermassung, Technisierung der Lebensumstände, Veränderung der Familie, Gigantomanie) abgrenzbar ist, rückt die Frage in den Mittelpunkt, welche Art von Selektivität vorherrscht, wenn Schriftsteller sich in irgendeiner Form zum Kapitalismus äußern. Dem Kapitalismus wird einiges Vorgeworfen: Materielle Ungleichheit, Verarmung breiter Bevölkerungsschichten, Ausbeutung, Arbeitslosigkeit, Krisenhaftigkeit der Wirtschaft, Gemeinschaftsverlust und Traditionszerstörung, Umweltzerstörung, Imperialismus und Kolonialismus. Das zeigt sich prominent an Georg Büchners „Friede den Hütten, Krieg den Palästen“ von 1834.
Eine typische Art schriftstellerischer Kapitalismuskritik ist die Kritik an den Charakteren, die der Kapitalismus hervorbringt: Das liegt auch daran, dass Schriftsteller mit Figuren arbeiten. Daher muss antikapitalistische Kritik vor allem an Figuren festgemacht werden. (Scrooge aus dem „Christmas Carol“ von Charles Dickens (1843) oder etwa Heinrich Heines „Die armen Weber“ (1844). Bei den Figuren geht es häufig um das Motiv der Hartherzigkeit „Das kalte Herz“ (Wilhelm Hauff).
Das moderne Bürgertum vermochte es nicht, positive Charaktere des Kapitalismus literarisch zu entfalten (Gottfried Kellers „Züricher Novellen“): Während der Adel auf geradezu scharmlose Weise seine Selbstdarstellung in Rittergeschichten und Abenteuern pflegte, gibt es das für die Bourgeoisie und den Kapitalismus nicht (Franco Moretti). Die Helden des bürgerlichen Romans kämpfen gegen die Bürgerlichkeit, gegen die neue Ordnung. Die Lebensweise der Akteure des Kapitalismus wird als zu systematisch, dröge und alltäglich wahrgenommen, als dass es den Spannungszwecken der Schriftstellerei entgegengekommen wäre. „Die Börse ist ein schlechter Ersatz für den heiligen Gral.“ (Schumpeter).
Selektivität: Antikapitalistische Narrative lassen häufig Knappheit und Selbstbehauptungsnotwendigkeiten weg. Sehr häufig kommen nur die Kapitalisten vor, aber nicht die Kunden. Häufig wird eine „Tischlein-deck-dich-Situation“ beschrieben, ohne darauf einzugehen, wo all diese Sachen eigentlich herkommen (Eichendorffs „Aus dem Leben eines Taugenichts“). Der undurchsichtige Kapitalismus frisst seine Protagonisten. Er ist die Nutzung von Zufällen, von Informationen, die nicht gleich verteilt sind (Bertolt Brechts „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“).
Kapitalismuskritische Philosophie ist häufig marxistische Philosophie: Die thematisierte Undurchsichtigkeit zeigt sich auch in der Philosophie, z.B. bei Georg Lukács (Kritische Theorie) zweiter Natur. Der Klassenbegriff blieb jedoch angesichts des fehlenden Klassenbewusstseins leer und das falsche Bewusstsein wurde erfunden. Es unterstellt den meisten Menschen Verblendung und behält sich daher einen unglaubwürdigen privilegierten Blickwinkel auf die Welt vor (vollständiger Verblendungszusammenhang außer bei den besagten Theoretikern). Die Kritische Theorie hat außerdem den Nachteil, dass sie die Distanzierungschance, die man hat, indem man auf Wissenschaft verweist, mit dem generalisierten Positivismusbegriff verspielt, weil sie 95% der Forschung nicht akzeptiert.
(Foto: © Frank Röth | F.A.Z.)
Referat zum Thema:
Antikapitalismus in der Literatur und Philosophie
Der Versuch Antikapitalismus in der Literatur zu untersuchen, stößt auf Schwierigkeiten: Neben dem enormen Gebietsumfang, der Tatsache, dass der Begriff später als der Tatbestand aufkam und dem Umstand dass die Kritik des Kapitalismus schwer von der Kritik der Moderne (Urbanisierung, Demokratisierung, Vermassung, Technisierung der Lebensumstände, Veränderung der Familie, Gigantomanie) abgrenzbar ist, rückt die Frage in den Mittelpunkt, welche Art von Selektivität vorherrscht, wenn Schriftsteller sich in irgendeiner Form zum Kapitalismus äußern. Dem Kapitalismus wird einiges Vorgeworfen: Materielle Ungleichheit, Verarmung breiter Bevölkerungsschichten, Ausbeutung, Arbeitslosigkeit, Krisenhaftigkeit der Wirtschaft, Gemeinschaftsverlust und Traditionszerstörung, Umweltzerstörung, Imperialismus und Kolonialismus. Das zeigt sich prominent an Georg Büchners „Friede den Hütten, Krieg den Palästen“ von 1834.
Eine typische Art schriftstellerischer Kapitalismuskritik ist die Kritik an den Charakteren, die der Kapitalismus hervorbringt: Das liegt auch daran, dass Schriftsteller mit Figuren arbeiten. Daher muss antikapitalistische Kritik vor allem an Figuren festgemacht werden. (Scrooge aus dem „Christmas Carol“ von Charles Dickens (1843) oder etwa Heinrich Heines „Die armen Weber“ (1844). Bei den Figuren geht es häufig um das Motiv der Hartherzigkeit „Das kalte Herz“ (Wilhelm Hauff).
Das moderne Bürgertum vermochte es nicht, positive Charaktere des Kapitalismus literarisch zu entfalten (Gottfried Kellers „Züricher Novellen“): Während der Adel auf geradezu scharmlose Weise seine Selbstdarstellung in Rittergeschichten und Abenteuern pflegte, gibt es das für die Bourgeoisie und den Kapitalismus nicht (Franco Moretti). Die Helden des bürgerlichen Romans kämpfen gegen die Bürgerlichkeit, gegen die neue Ordnung. Die Lebensweise der Akteure des Kapitalismus wird als zu systematisch, dröge und alltäglich wahrgenommen, als dass es den Spannungszwecken der Schriftstellerei entgegengekommen wäre. „Die Börse ist ein schlechter Ersatz für den heiligen Gral.“ (Schumpeter).
Selektivität: Antikapitalistische Narrative lassen häufig Knappheit und Selbstbehauptungsnotwendigkeiten weg. Sehr häufig kommen nur die Kapitalisten vor, aber nicht die Kunden. Häufig wird eine „Tischlein-deck-dich-Situation“ beschrieben, ohne darauf einzugehen, wo all diese Sachen eigentlich herkommen (Eichendorffs „Aus dem Leben eines Taugenichts“). Der undurchsichtige Kapitalismus frisst seine Protagonisten. Er ist die Nutzung von Zufällen, von Informationen, die nicht gleich verteilt sind (Bertolt Brechts „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“).
Kapitalismuskritische Philosophie ist häufig marxistische Philosophie: Die thematisierte Undurchsichtigkeit zeigt sich auch in der Philosophie, z.B. bei Georg Lukács (Kritische Theorie) zweiter Natur. Der Klassenbegriff blieb jedoch angesichts des fehlenden Klassenbewusstseins leer und das falsche Bewusstsein wurde erfunden. Es unterstellt den meisten Menschen Verblendung und behält sich daher einen unglaubwürdigen privilegierten Blickwinkel auf die Welt vor (vollständiger Verblendungszusammenhang außer bei den besagten Theoretikern). Die Kritische Theorie hat außerdem den Nachteil, dass sie die Distanzierungschance, die man hat, indem man auf Wissenschaft verweist, mit dem generalisierten Positivismusbegriff verspielt, weil sie 95% der Forschung nicht akzeptiert.